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Pfäfers | Schweiz

Taminabrücke

Architekturfotograf: Gerd Schaller

Der Schweizer Kanton St. Gallen ist berühmt für seine unzähligen Meisterwerke an Ingenieursgeschick. Ein junges Beispiel ist die Taminabrücke, die über die gleichnamige Schlucht samt Wildbach führt, und die beiden Orte Valens und Pfäfers nun in luftiger Höhe, 200 Meter über dem Flusslauf, miteinander verbindet.

Architekturfotografie Taminabrücke Pfäfers | Gerd Schaller | BAUWERK PERSPEKTIVEN

Außergewöhnliche Bauwerke sind in den Gebirgsregionen der Welt nicht unbedingt ungewöhnlich. Täler, Schluchten, Steilhänge sowie unzählige topografische Eigenheiten haben Baumeister und Architekten seit jeher vor Herausforderungen gestellt. So auch im Schweizer Taminatal: Während das Dorf Pfäfers südlich der Tamina auf einem Felsvorsprung liegt, befindet sich Valens auf der nördlichen Talseite. Der 400-Seelen-Ort war seit jeher über eine schmale Straße entlang der nördlichen Talflanke an den übrigen Verkehr angeschlossen, die allerdings durch aktives Rutschgebiet führt und schon mehrfach aufwendig und kostspielig saniert werden musste. 2007 wurde deshalb ein öffentlicher Wettbewerb für den Bau einer Verbindungsbrücke zwischen den Ortschaften ausgeschrieben, den das Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner (LAP) für sich entscheiden konnte.

Architekturfotografie Taminabrücke Pfäfers | Gerd Schaller | BAUWERK PERSPEKTIVEN

Heute erübrigen sich mit der Brücke sowohl die Gefahren durch Hangrutsche, Steinschläge und Straßenabsenkungen, als auch der mühselige Weg in´s Tal und wieder hinauf. Ihre Rolle kündigt die Taminabrücke schon weithin an. Dominant beherrscht sie weithin sichtbar den Taleingang. Aus der Nähe betrachtet offenbart sich dann die grandiose Konstruktion der Bogenbrücke. 200 Meter geht es am höchsten Punkt hinunter in die Tiefe. Auf einer Länge von 400 Metern überspannt sie die wilde Schlucht, an deren Sohle blutwarm heilendes Wasser aus dem Fels quillt. Die weithin bekannte Rehabilitationsklinik im 400-Seelen-Örtchen Valens nutzt das Thermalwasser noch heute zu Therapiezwecken.

Architekturfotografie Taminabrücke Pfäfers | Gerd Schaller | BAUWERK PERSPEKTIVEN

Projekt mit Hindernissen

Doch das Projekt stieß nicht nur auf Befürworter. Ein Ausbau der bestehenden Straße sei wesentlich kostengünstiger, hieß es. Die vorhandene Vegetation- größtenteils 60 bis 100 Jahre alte, gut verwurzelte Buchen- sprächen dagegen, dass sich hier aktives Rutschgebiet befinde. Außerdem würde die Brücke knapp neben national geschütztes Gebiet gebaut. Mit der Stille tief unten in der Schlucht wäre es dann vorbei. Vorwürfe, der Gemeindepräsident wolle sich lediglich ein Denkmal setzen, wurden laut. Zudem ist die Gemeinde Pfäfers eine der ärmsten im Kanton St. Gallen. Doch der Gemeinderat argumentierte, der Brückenbau fiele in das Straßenbauprogramm des Kantons. Die Kosten von insgesamt 56 Millionen Schweizer Franken, umgerechnet knapp 48 Millionen Euro, für Brücke und Zufahrtsstraße würden damit vom Kanton und nicht von der Gemeinde beglichen. Außerdem würde die Infrastruktur maßgeblich verbessert und Arbeitsplätze geschaffen. Anfang Oktober 2012 wurde schließlich mit den Vorarbeiten für den Bau der Zufahrtsstrassen begonnen. Am 28. März 2013 folgte dann der offizielle Spatenstich, bei dem der Hochseilartist Freddy Nock auf einem 417 Meter langen Seil über die Schlucht balancierte.

Architekturfotografie Taminabrücke Pfäfers | Gerd Schaller | BAUWERK PERSPEKTIVEN

Brückenbau in luftiger Höhe

Artistisch ging es auch bei der baukonstruktiven Umsetzung zu. Zunächst wurden die Fundamente an den Enden des Bogens gebaut, anschließend der Bogen aus jeweils fünf Meter langen Abschnitten im Freivorbau zusammengesetzt. Mit Hilfe von Seilkabeln, Hilfspylonen  sowie einem freistehenden Hochbaukran wuchs die Brücke von beiden Seiten her über die Schlucht. Der 265 Meter spannende Bogen bildet zusammen mit einem Durchlaufträger, der mit dem Bogen über Kämpferstiele und Bogenständer monolithisch verbunden ist, das Tragwerk der Brückenkonstruktion. Erhöhte Beanspruchungen, wie etwa große Windlasten, ein ausgefallenes Spannkabel oder auch Erdbeben, muss die Taminabrücke aushalten können.

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Auf mehr als der Hälfte der Länge ist die Brücke als Hohlquerschnitt errichtet, um das Gewicht der Betonkonstruktion zu verringern. Auch der Überbau wurde dazu als Betonhohlkasten ausgeführt. Querschnittshöhe und Breite der Brücke variieren im Bogenverlauf, sodass sich das Bauwerk zum Scheitelpunkt hin verjüngt. Da dieser nicht mittig, sondern 35 Meter näher an die Valenser Seite gesetzt wurde, ergibt sich eine asymmetrische Krümmung. Dabei ist der Bogen weder Teil einer Parabel, noch eines Kreises, denn die beiden Kämpfer wurden um 33 Meter in der Höhe versetzt angeordnet.

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Erdbebensicher und umweltverträglich

Schon bei der Ausschreibung standen die exponierte Lage sowie die Topografie im Fokus der Aufmerksamkeit. Nicht nur die konstruktive Planung sah sich mit entsprechenden Herausforderungen konfrontiert. Auch optisch sollte die Brücke angemessen bleiben, sich in die Umgebung einfügen und umweltverträglich sein. Zu guter Letzt wünschte die Gemeinde ein dauerhaftes Bauwerk mit möglichst wenigen Schwachstellen wie etwa Lagern oder Fahrbahnübergängen. Die nahezu vollständig monolithisch errichtete Taminabrücke konnte all diese Vorgaben erfüllen. Zudem hat der Typus der Bogenbrücke bereits im gesamten Kanton Tradition und machte schon in der Vergangenheit viele unwegsame Täler passierbar.

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 Ohne die gestalterische Unterstützung von Architekten führten die Stuttgarter LAP Ingenieure sowohl die Tragwerskplanung als auch die Ausführungsplanung durch. Der gesamte Entwurf wurde mittels 3D-Modellierung ausgearbeitet. Insgesamt wurden 14.000 Kubikmeter Beton, 3.000 Tonnen Bewehrung, 180 Tonnen Vorspannlitzen sowie 140 Spanngliedverankerungen verbaut. Genau zwei Jahre nach Baubeginn, am 28. März 2015, erfolgte der Bogenschluss. Im Juli 2017 wurde die Eröffnung mit einem dreitägigen Festakt gefeiert. Am 22. Juli erfolgte dann die endgültige  Freigabe. Heute spannt sich die organische Form der weithin sichtbaren Taminabrücke friedlich über das Tal und auch die meisten Gemeindemitglieder haben sich inzwischen mit ihrer neuen Brücke angefreundet.

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